3. Akt: Die Fachliteratur

Sag mal, wie finden die Richter eigentlich raus, was das Gesetz über den von ihnen zu entscheidenden Fall sagt?

Na ich nehme an, sie fragen Alexa* oder Siri*.

Aber ...

Das war ein Sche-herz! Die meisten Justizverwaltungen wissen noch nicht einmal, wie man das Wort „Computer“ buchstabiert, und das ist letztlich auch ganz gut so. Nein, die lesen natürlich. Die Fachliteratur, ganz Old School – Buchdruck, Gutenberg und so. Farbe auf Papier.

Sehr gut! Das Recht und die Rechtsfindung können ja nicht jede Technikmode mitmachen – ein wenig Rückständigkeit gehört geradezu zum System. Aber wer produziert denn die Literatur?

Na der Drucker.

Du ewiger Scherzbold! Ich meine natürlich nicht das Buch, sondern den Inhalt. Die Texte.

Na, Leute die sich auf einem Gebiet gut auskennen. Bankrechtler schreiben übers Bankrecht, Mietrechtler übers Mietrecht, Versicherungsrechtler übers Versicherungsrecht ... Logisch, oder?

Hm. In was für Formaten schreiben die denn so?

Na, da gibt’s Kommentare, Rechtsprechungsübersichten, Urteilsbesprechungen ... Wenn eine Bank oder eine Versicherung verurteilt wird, dann jaulen wie auf Knopfdruck die Fachleute in den einschlägigen Fachblättern, wie abwegig, praxisfern, wirtschaftsfeindlich, verfassungs- und europarechtswidrig diese Entscheidung doch wieder ist. Je höher das Gericht, desto mehr.

Na ja, aber davon lässt sich doch sicher kein Richter beeindrucken. Man weiß doch, wer da schreibt!

Ja? Woher denn? Die Rechtsprechungsübersicht zum Versicherungsrecht wird z. B. halbjährlich von zwei Anwälten aus einer Großkanzlei verfasst, die ausschließlich Versicherer vertritt – also aus Prinzip und immer gegen Versicherungsnehmer, Versicherte, Geschädigte arbeitet. Glaubst Du etwa, das steht bei deren Autorennamen dahinter?

Müsste doch eigentlich.

Wieso? Irgend so ein Spinner aus Berlin fordert das zwar alle halbe Jahre wieder, aber mangels Rechtsgrundlage hört auf den natürlich keiner. Bei den ganzen Bankrechtsartikeln steht ja auch nicht drunter, dieser Beitrag wurde im Auftrag unserer Stamm-Mandantin der X-Bank verfasst ...

Nein, das wäre sicherlich ein Eingriff in die grundrechtlich geschützte Berufsausübungsfreiheit, wenn man das kundtun müsste, und in die Meinungsfreiheit gleich mit ... Diese Leute dürfen ja wohl auch eine Meinung haben!

Genau! Und wenn ein Justiziar einer Rechtschutzversicherung sich über Kostenthemen äußert, steht logischerweise auch nicht bei, dass er bei einer Versicherung arbeitet. (siehe auch Streitgenossen.pdf S. 111 (re. Sp. oben) unter IV. und Fußn. 1) Was sollte der Richter mit dieser Information denn auch anfangen? Das Recht ist schließlich so, wie es ist, egal wer das sagt.

Hm ... Aber die Kommentare, diese richtig dicken Bücher über das Recht – die sind doch bestimmt mit wissenschaftlichem Anspruch verfasst? Ausgewogen, unabhängig, von allen Seiten?

Sicherlich. Wir schauen mal nach ... Aha, da haben wir ja z. B. den Münchener Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz. Drei Bände, zusammen über 5.000 Seiten, mit Abstand das umfangreichste Werk ... also, der erste Herausgeber ist schon mal der, der auch immer die Rechtsprechungsübersicht zum Versicherungsrecht in der verbreitetsten deutschen Rechtszeitschrift verfasst, wie gesagt ...

Aber doch sicher nicht allein!

Wo denkst Du hin. 11 Leute schreiben insgesamt mit aus dieser Kanzlei, die nur Versicherer vertritt ... also Partner und Untergebene vom Herausgeber.

Na und sonst?

Der Chefsyndikus des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft ... die Vorstände und Vorstandsvorsitzenden von fünf großen Versicherern ... die Chefsyndizi von drei weiteren ... ein Versicherungsmakler ... drei Anwälte aus US-Kanzleien ... und höre und staune: vier Richter und fünfzehn Professoren!

Jetzt bin ich aber erleichtert. Die werden ja bestimmt für Ausgewogenheit sorgen.

Sicher. Die sind bestimmt dafür als Mitautoren ausgesucht worden, dass sie sich als besonders versicherungsnehmerfreundlich hervorgetan haben ... einen kenn ich übrigens näher, der hat ein über 50-seitiges Gutachten über die Europarechtswidrigkeit einer BGH-Entscheidung verfasst. Wurde in ein paar Hundert Verfahren vorgelegt ...

Von den Versicherungsnehmern, sicherlich?

Scherzkeks! Nein, von den Anwälten der Versicherung, o Wunder. Der Mann war übrigens auch noch Richter im Nebenamt. An einem Berufungsgericht und in einem Versicherungssenat ...

Nicht Dein Ernst.

Doch! Aber er hat den Posten netterweise aufgegeben, bevor er dieses Gutachten für das Versicherungsunternehmen zur Verwendung freigegeben hat. Und in den Verfahren, die gegen das Unternehmen geführt wurden, in dessen Auftrag er es verfasst hat, hat er nicht mitentschieden. Das spricht doch für Fairness und Objektivität, oder?

Absolut!

* Alexa ist eine eingetragene Marke der Alexa Internet, Inc.
  Siri ist eine eingetragene Marke der Apple Inc. in den USA und anderen Staaten

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