2. Akt: Der Ausschuss
Sag mal, wo wir gerade über die Gesetzgebung nachdenken: Werden eigentlich auch Anwälte in die Ausgestaltung des Rechtes einbezogen? Zu meinen Zeiten wurde oft beklagt, dass die im Ministerium gar nicht wissen, wie das bei Gericht so wirklich abläuft.
Aber Max! Wir sind in Deutschland! Da gibt’s für alles einen Ausschuss. Also, na klar, auch einen für Zivilprozess- und Gerichtsverfassungsrecht. Hat die Bundesrechtsanwaltskammer extra eingerichtet, damit in Gesetzgebungsverfahren die Stimme der Praxis Gehör findet.
Klingt gut. Wie viele sind da denn drin?
Sieben Leute. Prima Größe, klassisch für eine arbeitsfähige Gruppe. Gut, oder?
Das Gespräch fand im November 2016 statt.
Na mal sehen. Was sitzen denn da so für welche?
Also, die einzige Frau arbeitet bei „einer der großen deutschen Wirtschaftskanzleien“, die Teil eines Netzwerkes mit 8.500 Berufsträgern ist. War früher eine Abteilung von PwC [PriceWaterhouseCoopers, eine der vier weltgrößten Wirtschaftsprüfer-, Steuer- und Unternehmensberater-Firmen, 35 Mrd. US-Dollar Jahresumsatz], musste aus regulatorischen Gründen formal verselbständigt werden.
OK, die Unternehmensseite. Klar, die muss gehört werden. Wer noch?
Einer ist bei King & Spalding LLP, Atlanta, 800 Anwälte. Kunden sind z. B. Monsanto, Coca Cola, Chevron, General Motors...
Das sagt mir alles nichts. Klingt irgendwie nicht so deutsch?
Nö. Muss ja auch nicht, oder? Die Wirtschaft ist heutzutage international.
Ja ... da müssen die Anwälte es wohl auch sein. Weiter?
Die Kanzlei vom nächsten Ausschussmitglied befasst sich mit „Corporate / M & A – Technologie, Medien und IP – Prozessführung, Schiedsverfahren & ADR – Commercial“.
Ist das jetzt Deutsch, oder welche Sprache?
Na, einige Wörter schon. „Commercial“ bedeutet im übrigen „Beratung im operativen Geschäftsbetrieb von Unternehmen“, sagen sie. Alles deutsche Wörter, hm?
Ja ... aber schon wieder Unternehmen, oder?
Wohl wahr. Der nächste sitzt in Frankfurt, ist einer von 40 Kollegen und macht Immobilienrecht und Unternehmenstransaktionen.
Die Brückenstadt zwischen Ost und West, Frankfurt an der Oder? Freude!
Willst du mich veralbern? Frankfurt am Main, da wo das Geld ist, Mann. Wahrscheinlich gibt’s in ganz Frankfurt (Oder) keinen, der die Honorare dieser Leute bezahlen könnte ...
Reg dich ab, woher soll ich das wissen? Zu meinen Zeiten wurde Frankfurt (Main) überhaupt erstmals von Preußen annektiert, während über Frankfurt (Oder) schon damals die Bahnlinie Berlin - Poznań führte. Aber das sind ja jetzt schon 4 von 7 Leuten, die Unternehmen vertreten.
Na, da gibt’s noch einen aus Wallenhorst, da gibt’s keine Großkanzleien. Der ist zusätzlich Notar. Der andere Einzelkämpfer ist zum 1. Januar 2016 aus dem Ausschuss ausgeschieden. Nein, halt: es gibt noch einen aus einer Zweier-Sozietät. Der ist allerdings zum Bundesgerichtshof zugelassen.
Ist das typisch?
Nö, das sind 45 von 164.000 Rechtsanwälten deutschlandweit.
Sehr repräsentativ ...
Du findest aber auch immer etwas zu mäkeln!
Wohl wahr. Vor allem dass das jetzt nur 6 waren und nicht 7. Wenigstens der 7. vertritt aber gewiss die kleinen Leute, oder?
Na ja ... Kaye Scholer LLP ... er ist übrigens der Vorsitzende von dem Ausschuss ... er leitet dort das „Complex Commercial Litigation Department“ ... vertreten hauptsächlich Life Science und Financial Services Unternehmen, sagen sie.
Gibt’s in Deutschland eigentlich auch deutschsprachige Kanzleien, sag mal?
Na massenhaft. Warum fragst du?
Ach nur so ...
Übrigens: Kaye Scholer kämpft seit jeher für die alternative Streitbeilegung, weil die Kunden schnellere und flexiblere Lösungswege bevorzugen [K. S. always have been advocates for Alternative Dispute Resolution (ADR) ... our clients seek swifter, more flexible ways of resolving disputes].
Wie, flexibler?
Na, flexibler als das normale Recht es hergibt. Diese ganzen lästigen Verfahrensregeln! Ich sage dir! Waffengleichheit! Rechtliches Gehör! Mündlichkeit! Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme! Rechtsmittel! Instanzenzüge! Dieser ganze Quatsch! Hält alles bloß auf!
Ist das nicht in der Zivilprozessordnung geregelt, ZPO genannt?
Ja, freilich. Warum?
Erzählst Du mir nicht gerade über den ZPO-Ausschuss?
Ja, freilich. Warum?
Der Vorsitzende von dem ZPO-Ausschuss ist einer, dessen Kanzlei versucht, möglichst Alternativen zur ZPO zu finden, weil deren Kunden das besser gefällt?
Ja, sagte ich. Warum?
Ich find’s ja irgendwie komisch, dass Leute an der ZPO mitarbeiten, die möglichst ohne sie auskommen wollen.
Das ist doch ganz normal. Da sind sogar noch ein paar mehr in dem Ausschuss, zu deren Hauptgebieten die ADR gehört. ( Schlichten – teurer als Richten!)
Hm. Also die, die aus dem durch die ZPO gestalteten Verfahren rauswollen, gestalten die ZPO ...
Na Max, wer soll es denn sonst machen? Der Anwalt, der Lieschen Müller und Uwe Unbedarft vertritt, hat doch weder die Zeit noch das Geld, in so einem Ausschuss herumzusitzen. Nur Großunternehmen können es sich leisten, Leute für solche Ehrenämter abzustellen.
Aber ...
Was??
Aber das Recht soll doch für alle gleich sein.
Na ist es doch auch.
Aber ...
Was??
Aber wenn einige da viel mehr Einfluss drauf nehmen als andere, dann ...
Was??
Ach, ich weiß auch nicht. Irgendwas kommt mir da komisch vor.
Du immer mit deinen Gefühligkeiten, Max. Komm, wir gehen einen trinken. Ich zahle – ich habe jetzt nämlich einen Job bei Freshfields. Nie wieder vor so einem lumpigen Amtsgericht herumhüpfen! Die werden sowieso allmählich geschlossen, in ärmeren Bundesländern gibt es kaum noch welche.
Aber ...