Rechtsvereinheitlichung als Ziel der Revision

von Dr. Christian Naundorf 

Großschadensserien werfen oft für eine Vielzahl von Geschädigten die gleiche(n) Rechtsfrage(n) auf. Das deutsche Zivilprozessrecht indes ist extrem individualistisch aufgebaut. Jeder Rechtsstudent verinnerlicht den Satz "Jeder Fall ist anders". Dennoch gibt es Grundsatzfragen, für deren Beantwortung – im Zivilrecht – der BGH zuständig ist. Seit Jahren hintertreibt die "Anbieterseite" von Finanzprodukten (wie Banken, Versicherungen usw.) deren Klärung, indem sie immer dann, wenn in einem zur Entscheidung anstehenden Einzelfall Ungemach droht, in letzter Sekunde den Klageanspruch anerkennt oder das Rechtsmittel zurücknimmt. Dieses Vorgehen wurde so penetrant, dass mehrere Bundesrichter Abhilfe verlangt haben und der Gesetzgeber reagierte mit einer Mini-Reform der ZPO.

Dr. Naundorf zeigt auf, dass diese Mini-Reform das Problem, das sie angeblich lösen soll, in Wirklichkeit nicht lösen kann und der BGH daher die weitergehende Befugnis erhalten muss, rechtsgrundsätzliche Fragen – in abstrakter Form – auch dann zu beantworten, wenn der konkrete Einzelfall schon erledigt ist. Denn sonst wird eine unerträgliche Asymmetrie festgeschrieben: Urteile "pro Anleger" ergehen letztinstanzlich keine, Urteile "contra Anleger" dagegen schon – welche dann den unteren Instanzen präsentiert werden. Das darf nicht sein.

Naundorf, Dr. Christian: Rechtsvereinheitlichung als Ziel der Revision. Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 44/2013, S. 14.