Die verschleppte Reform

von Dr. Christian Naundorf

Der Bundestag hat es geschafft: Rechtzeitig vor dem Start der Vorbereitungen für seine nächste Wahl hat er das Wahlrecht beherzt reformiert. - Neidlos: viel besser, als der Autor es vor drei Jahren, allein im Wege der Notlösung, vorschlug. Damit ist er weitaus schneller als die Versicherungswirtschaft, die Teile ihrer Bedingungswerke auch 15 Jahre nach In-Kraft-Treten der Reform des Gesetzes über den Versicherungsvertrag (VVG 2008) noch immer nicht voll an dessen zwingende Vorgaben angepaßt hat:

Wenn die Bude abbrennt, soll der Eigentümer dem Versicherer nachweisen müssen, dass nicht er am Leerstand schuld ist, wenn er versicherten Mietausfall verlangt. So sagen es die gängigen Wohngebäude-Versicherungs-Bedingungen.

Kann wohl nicht sein - das steht quer zu allem, was wir seit 2008 über Darlegungs- und Beweislast im VVG lesen: Versicherer müssen Verschulden beweisen, nicht Versicherungsnehmer ihr Nicht-Verschulden (daran, dass der Schaden so hoch ist, wie er ist). - Stimmt, sagten Landgericht Potsdam wie Oberlandesgericht Brandenburg (Versicherungssenat); dauerte aber Jahre, das Offensichtliche durchzusetzen, und geändert sind die Bedingungswerke bis heute nicht. Es bleibt also genug zu tun. - Einziger Trost: sechs Jahre Zinsen auf den Gesamtschaden ergeben ein beträchtliches Sümmchen extra. Nur gut, wenn man das Geld nicht kurzfristig brauchte ...

 

Zeitschrift "recht und schaden" (r + s) Heft 4/2022, S. 210 - 213

LG Potsdam - 2 O 291/19 - vom 2. 2. 2022

- rechtskräftig nach Rücknahme der vom Versicherer eingelegten Berufung zum Brandenburgischen OLG auf Hinweise in der mündlichen Verhandlung vom 15.01.2023 - 11 U 40/22 (Spezialsenat für Versicherungssachen) -, bevor der seine Entscheidung verkünden konnte

 

Anmerkung: Das Urteil ist unglücklicherweise nicht redigiert worden, so dass seine zentrale, über den Einzelfall hinaus bedeutsame, also verallgemeinerbare und eigentlich recht wichtige Aussage von einer Menge Details nahezu erschlagen wird. Die Annahme einer aufs Wesentliche gekürzten Fassung nebst Entscheidungsbesprechung hat die Schriftleitung abgelehnt, weil der Verfasser am Verfahren beteiligt war. Das ist zwar nachvollziehbar, entwertet den Abdruck des Urteils aber beträchtlich: der Geschädigte bekam den versicherten Brandschaden von seinem Versicherer bezahlt - so what? Da geht der Punkt an der Sache - Verwendung seit 15 Jahren klar gesetzeswidriger Allgemeiner Versicherungsbedingungen nicht bei einem einzelnen Versicherer, sondern in der Breite der Branche - leider völlig unter.