Beurteilungs(un)wesen in der deutschen Justiz

von Dr. Christian Naundorf

Am Bundesgerichtshof (BGH) tobte für viele Monate ein bizarrer Konkurrentenstreit um eine Vorsitzenden-Position. Wenig beachtet blieb zunächst: Die Fachwelt sah es als völlig normal an, dass der Präsident einen Kontrahenten um eine Note heruntergesetzt hatte, um damit zu verhindern, dass jener den Vorsitz bekam. Sollte man nicht erst beurteilen und dann den Besten befördern? Dr. Naundorf rügt, dass ganz allgemein in der Justiz ein starker Hang dahin geht, erst die Entscheidung zu treffen, was eine(r) werden soll, und dann eine hierfür "maßgeschneiderte" Richterbeurteilung zu verfassen. Mit dem grundgesetzlichen Prinzip der Bestenauswahl (Art. 33 Abs. 2) ist das nicht vereinbar.

Naundorf, Dr. Christian: Beurteilungs(un)wesen in der deutschen Justiz. Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 21/2013, S. 10.

 

Nachtrag: Dieser Beitrag wurde 2020 erneut aktuell und daher zitiert, als dem Anwärter auf eine Position beim Bundesverfassungsgericht Jes Möller seine "mäßigen Beurteilungen" entgegengehalten wurden. (Als einziger der drei Kandidaten hatte er eine "Ost-Biographie" aufzuweisen.) Der Berliner Tagesspiegel griff auf, dass dies wenig über seine Qualifikation und mehr über die Beurteilungs-Schreiber aussagen dürfte, Ausgabe vom 26. Mai 2020 S. 5 r. Sp. bzw. online-Archiv. Ehemalige Mitglieder des Richterwahlausschusses im Bundestag hätten der Red. bestätigt, dass es sich so verhalte wie von Naundorf angegeben. Einige (allerdings wenige) Leserbriefe von Landesrichtern hatten seinerzeit vergleichbaren Inhalt: "Endlich schreibt's mal jemand!"